Die 10. Ausgabe des BigLittlePodcast hat mich kürzlich dazu animiert, über die Frage des Outings gegenüber den eigenen Eltern nachzudenken. In den einschlägigen Foren liest man zu diesem Thema meist Antworten mit etwa folgender Kernaussage:
„Meine Eltern müssen nicht wissen, was ich im Schlafzimmer so treibe. Schließlich möchte ich solche Details über sie auch nicht wissen.“
Dagegen lässt sich schwer argumentieren, letztlich sehe ich das selbst auch ganz genauso. Allerdings scheine ich mir da selbst zu widersprechen, denn als ich etwa 20 war, erzählte ich meiner Mutter von meinem Fetisch, von dem bis dahin nur einige Internetbekanntschaften aus entsprechenden Chats und Foren wussten.
Zu der Zeit tat ich mich selbst noch ziemlich schwer mit dieser Vorliebe, hatte jedoch immerhin schon für mich klargestellt, dass ich nicht mehr darauf verzichten kann und diese Vorliebe für Windeln also auch nicht irgendwie „wegmachen lassen“ wollte. Ein paar Jahre zuvor wäre ich diese Leidenschaft nur allzu gern wieder losgeworden. Ich wohnte noch „zu Hause“ bei meinen Eltern und musste alles heimlich machen: Windeln kaufen oder bestellen; benutzen nur, wenn gerade niemand außer mir da war; entsorgen irgendwo unterwegs in einer öffentlichen Mülltonne.
Nach und nach wuchs in mir der Wunsch, wenigstens meiner Mutter davon zu erzählen. Mir war allerdings gar nicht so ganz klar, warum ich das wollte. Schließlich war mir absolut klar, dass ich meine Eltern da in keiner Weise mit hineinziehen wollte. Sie sollten davon auch weiterhin nichts zu Gesicht bekommen; ganz nach dem Motto: Was ich in meinem Schlafzimmer mache, geht sie nichts an. Dennoch drängte mich irgendetwas…
Schließlich hatte ich mich eines Abends so in den Gedanken hineingesteigert, es ihr zu erzählen, dass ich gar nicht mehr anders konnte. Am Ende des sehr emotionalen Gesprächs wusste ich, dass sie selbst damit keine Probleme hatte, sich aber Sorgen um mich machte: Ob ich es vielleicht loswerden wollte; Dass ich es schwer haben würde eine Freundin zu finden; Dass ich so einfach nicht glücklich werden würde.
Ich sagte ihr, dass ich über einen Internet-Chat einige nette Leute kennengelernt hätte, die mir sehr geholfen hätten, und dass ich erstmal nichts unternehmen wollte, um von dieser Vorliebe loszukommen.
Ich fühlte mich zunächst ein wenig erleichtert, weil ich endlich dieses Geheimnis los war; vor allem aber wohl, weil ich das Gespräch hinter mich gebracht hatte. Ganz praktisch änderte sich dadurch nichts. Ich lebte alles weiterhin im Geheimen aus. Mit der Zeit wuchs nun aber mein schlechtes Gewissen: Warum hatte ich ihr überhaupt davon erzählt? Sie macht sich jetzt sicher Sorgen und wozu das alles? OK, einen Vorteil hatte das Ganze: sollte sie eines Tages durch einen dummen Zufall eine meiner Windeln oder etwas Entsprechendes auf meinem Computer finden, dann würde sie wenigstens nicht aus allen Wolken fallen.
Die Jahre vergingen, ohne dass wir ein zweites Mal das Thema aufgegriffen hätten. Immer wieder fragte ich mich, ob sie sich wohl noch daran erinnern könnte, was ich ihr an diesem einen Abend erzählt hatte. Mit Sicherheit — Mütter vergessen so etwas nicht. Vielleicht dachte sie auch, dass es wirklich nur eine Phase gewesen war und ICH es längst vergessen hätte. Jedenfalls sprach keiner von uns den anderen darauf an.
Einige Jahre später lernte ich meine jetzige Freundin kennen. Ich erzählte ihr recht früh von meiner Leidenschaft (siehe Wie ich es meiner Freundin erzählt habe) und bald darauf lebten wir alles gemeinsam aus.
Nach einer Weile besuchten wir zusammen unseren ersten Stammtisch und gründeten einen Monat später unseren eigenen in Berlin. Wir fuhren mit auf einschlägige Wochenendausflüge („Windeltreffen“ und „Windelfreizeit“ der WBC). Vor allem aber lernten wir viele nette und interessante Menschen kennen. Mit einigen davon sind im Laufe der Zeit großartige und ungewöhnlich tiefe Freundschaften entstanden.
Aus dem ursprünglichen Fetisch für Windeln hatte sich also innerhalb weniger Jahre etwas viel, viel Größeres entwickelt. Es wurde zunehmend zu einer Art Life-Style.
Da ich noch immer von Zeit zu Zeit darüber nachdachte, ob meine Mutter sich wohl noch an unser Gespräch erinnern konnte und sich vielleicht noch immer Sorgen machte, entschied ich mich, sie ganz vorsichtig auf das Thema anzusprechen. Ich fragte sie also, ob sie sich noch an das erinnern könne, was ich ihr vor einigen Jahren eines Abends erzählt hatte. Sie wusste sofort, was ich damit meinte. Ich erzählte ihr, dass meine Freundin Bescheid wisse und mich auf die bestmögliche Weise dabei unterstütze. Ich sagte auch, dass wir einige andere Leute mit ähnlichen Vorlieben getroffen hatten.
Es ist ein schwieriges Thema für sie, aber ich hatte das Gefühl, dass ich sie damit doch endlich etwas beruhigen konnte. Später erzählte ich dann auch, dass wir auf ein „Szenetreffen“ gehen würden. Nach kurzer Rückfrage war dann auch klar, um welche „Szene“ es dabei ging.
Die 10. Folge des BigLittlePodcast brachte mich nun — wie bereits erwähnt — zum Grübeln. In dieser Folge ging es unter anderem auch um Outings und die Frage, vor wem man sich outen oder eben lieber nicht outen sollte. Interessant fand ich dabei vor allem ein Motiv für das Outing, das Mako und Spacey dabei herausgearbeitet haben: Der Wunsch nach Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sich selbst und anderen gegenüber.
Das war geradezu ein Volltreffer in meinem Fall: Dieser ganze Life-Style mit all den Treffen und Freizeiten, zu denen wir teilweise hunderte Kilometer mit dem Auto fahren, die Freunde, die wir in der Szene gefunden haben und mit denen wir viel Zeit verbringen, die ganze Lebenseinstellung. All das sind Dinge, die in meinem Leben eine immer größer werdende Bedeutung haben. Ich musste meiner Mutter schließlich davon erzählen, weil ich mich sonst mein Leben lang wie ein Lügner gefühlt hätte. Wie jemand, der die Menschen hintergeht, die ihm eigentlich am nächsten stehen sollten. Ich hätte mich wie ein Lügner gefühlt, weil ich diesen wichtigen Teil von mir die ganze Zeit verschwiegen hätte, weil ich niemals wirklich ICH sein konnte, während ich das alles für mich behalten musste.
Natürlich erzähle ich nichts über Dinge, die wir „im Schlafzimmer“ machen, das geht sie auch wirklich nichts an. Aber für mich ist dieser Life-Style eben keine reine Schlafzimmerangelegenheit mehr, es ist einfach viel, viel mehr als das.
Mako und Spacey, ihr seid einfach großartig!
Ich wäre gerne mal bei so einem Treffen dabei. Allerdings brauche ich eine rollstuhlgerechte Toilette. Vielleicht könnt ihr was in der Richtung organisieren.